Diverse Identitäten

© Jacolby Satterwhite Courtesy of the artist and Mitchell-Innes & Nash, New York

Die Ausstellung „Sweat“ im Haus der Kunst, München

Diversität ist ein hochaktuelles Thema, das nicht nur am SMG durch die OSQAR-Gruppe ins Zentrum der Aufmerksamkeit rückt, sondern auch durch die derzeitige Ausstellung „Sweat“ im Haus der Kunst in München.

Eine Kunstaustellung, die mit Schweiß betitelt ist, ruft auf alle Fälle Neugier hervor. Was steckt dahinter? Der Hinweis darauf, dass Kunst-Schaffen harte Arbeit ist?

Als ich das gewaltige, eigentlich fast monströse Gebäude (es wurde von den Nationalsozialisten gebaut) betrete und zu den Ausstellungsräumen laufe, höre ich rhythmischen Gesang und denke, “Klar, Tanzen als Kunstform, ja, das ist schweißtreibend!“ Damit bin ich schon auf der richtigen Spur.

Doch sowohl in Jacolby Satterwhites Video-Installation „We Are in Hell When We Hurt Each Other“ mit tanzenden, kämpfenden Avataren, noch in den anderen Kunstwerken geht es um eine bestimmte Kunstform oder eine bestimmte Interpretation des Themas „Sweat“, sondern es erwartet den:die Besucher:in die Auseinandersetzung mit verschiedenen durch den menschlichen Körper erzeugten Identitäten und den gesellschaftlichen Umgang damit.

Identitäten werden geprägt durch die Hautfarbe, durch das Geschlecht, durch eine Behinderung, durch die sexuelle Orientierung und durch eine Vielzahl von anderen körperlichen Merkmalen wie dick, dünn, groß, klein.

Doch auch das wird in der Ausstellung deutlich: Äußere Merkmale führen oft auch zu Diskriminierung, Einschränkung, Verlust der Freiheit, Verfolgung und Gewalterfahrungen.

Am Fuß der Treppe in den 1. Stock stehe ich vor dem großformatigen Foto eines jungen Skelett-Hoodie-Trägers mit Totenkopf-Maske, der in einem Feuerkreis steht. Es ist ein Jugendlicher aus einem französischen Banlieu, dessen Identität, so lässt sich vermuten, durch seine Abstammung von nordafrikanischen Einwanderern beeinflusst wurde. Und sofort tut sich mit dieser Zuordnung ein ganzer Bogen von vorurteilsbehafteten Assoziationen auf: Brennende Autos, randalierende Jugendliche, triste Hochhaussiedlungen, herumhängende arbeitslose Menschen.

Weniger offensichtlich ist die Bemalung des Treppenaufgangs: wie von Kindern gezeichnete Hände und dazwischen immer wieder die Worte „Maybe“ und „Here“! Hier benötige ich die Information, dass es sich um Zeichen der Gebärdensprache handelt.

Auf dem weiteren Rundgang werden Körperdarstellungen verschiedener Kulturen präsentiert, die ein Licht darauf werfen, wie sich diese Menschen selbst, aber auch ihre Kultur verstehen und mit welchen Mitteln sie diese darstellen. Deutlich wird aber auch wie in Afrika oder anderen Teilen der Erde weiße Eroberer und Besatzer diese Selbst-Wahrnehmung gebrochen, überschattet und beeinflusst haben.

Der negative Einfluss der westlichen „Besucher“ zeigt sich etwa auch in der Darstellung von asiatischen Frauen als stets verfügbare, unterwürfige und sexuell hyperaktive Kindfrauen. Diese Stereotypisierung zeigt eine grell-bunte Collage aus Werbebildern und Schildern von asiatischen Bars und Vergnügungsläden, die zahlungskräftige westliche Touristen ansprechen sollen.

Mit sexuellen Stereotypen und Diskriminierungen sehen sich die Angehörigen der LGBTQ+ Community immer noch konfrontiert. Ihre Verfolgung und Verdrängung an den Rand der Gesellschaft werden durch verschiedene Installationen vor Augen geführt. Zum Beispiel präsentiert ein portugiesisches Künstler-Duo ein Objekt, das an ein öffentliches Klohäuschen erinnert. Es ist mit Sprüchen besprüht, die die Unterdrückung, aber auch die Sehnsüchte der homosexuellen Männer ausdrücken, die sich an solchen Orten treffen mussten, weil es für sie keine anderen Möglichkeiten gab. Die Verfolgung dieser sexuellen Identitäten gerade auch in München bzw. Bayern zeigt eine Raum-Installation, auf deren Außenwänden Zeitungsartikel und Plakate die Situation der Schwulen und Lesben Ende des 20. Jahrhunderts in dieser Stadt nachvollziehbar machen. Im Inneren ist ein Video zu sehen, in dem der auf tragische Weise verstorbene Transmensch Lana Kaiser ihr Coming Out hat.

Alles in allem eine Ausstellung, die am Puls der Zeit ist und zum Nachdenken über Körperidentitäten wie auch die Diskriminierung aufgrund äußerer Merkmale anregt. Hoffentlich werden sie trotz Corona viele Menschen besuchen.

Das HDK macht mit diesem Thema weiter, denn dort hat inzwischen eine neue kleine Ausstellung eröffnet, die sich dem „Forum Queeres Archiv München“ widmet. Näheres findet ihr hier:

https://hausderkunst.de/ausstellungen/forum-queeres-archiv-muenchen

Christel Seidenath